Unsere ehemalige Schülerin Loreen Spitzer berichtet über ihre Erfahrungen an einer Grundschule in Costa Rica. Sie absolvierte 2015 das Abitur und engagierte sich anschließend im Rahmen einer Freiwilligenarbeit. Lesen Sie ihren Bericht.
Mein Aufenthalt in Costa Rica dauerte insgesamt 2 Monate und 25 Tage und wurde von der deutschen Organisation für Freiwilligenarbeit Into organisiert. Die meiste Zeit davon verbrachte ich in einer Grundschule in der Stadt Alajuela, welche mit fast 900.000 Einwohnern, neben San José, eine der größten Städte des Landes ist. Währenddessen wohnte ich in einer costa-ricanischen Gastfamilie, die ich von meiner Organisation zugeteilt bekam.
Die Grundschule in Alajuela befindet sich ziemlich nah am Zentrum und ich musste jeden Tag aus dem Vorort, in dem ich wohnte, ca. 20 Minuten mit dem Bus fahren und danach noch zehn Minuten durch die Stadt und den Parque Central laufen, um sie zu erreichen. Ihr Name ist Bernardo Soto Alfaro und es handelt sich hierbei um ein blaues, einstöckiges Gebäude, das sich besonders durch seine Farbe von den Anderen abhebt. Insgesamt besitzt die Schule drei Haupteingänge und besteht weiterhin aus einem großen Platz in der Mitte, der als Pausenhalle, sowie auch als Sportplatz genutzt wird. Darum herum befinden sich die einzelnen Klassenräume, in denen sich alle Klassenstufen von eins bis sechs einfinden. Zudem kommen eine Cafeteria, in der jeden Nachmittag warmes Essen serviert wird, ein Kiosk, der neben kleinen Snacks auch Schreibwaren verkauft, ein Lehrerzimmer mit eigenem Essbereich und zahlreiche Wasserspender.
Die blaue Farbe der Außenwände findet man im Inneren der Schule nicht wieder, stattdessen ist alles sehr schlicht gehalten, der Hof ist braun und die Klassenräume sind grau.
Als ich das erste Mal vor der Schule stand, sind mir als Erstes die Gitterstäbe aufgefallen. Denn davon gibt es unzählige vor jeder Tür und vor jedem Fenster. Es gleicht zunächst einem Gefängnis und wirkt nicht besonders einladend, jedoch dienen diese Gitter lediglich dem Schutz der Kinder. Betritt man die Schule, so wird man als Erstes von einer Empfangsdame begrüßt, die die Personalien jedes Besuchers aufnimmt, als weitere Vorsichtsmaßnahme, sodass niemand Unbefugtes die Schule betreten kann. Wenn man so etwas nicht gewöhnt ist, macht es einem zunächst ein bisschen Angst und man fragt sich, was schon alles passiert sein muss, bevor man diese Maßnahmen ergriffen hat.
An meinem ersten Tag wurde ich sofort freudig empfangen und es hatten sich einige neugierige Lehrer am Eingang versammelt. Da mein Spanisch anfangs noch sehr schwerfällig war, unterhielt ich mich zunächst nur mit der Englischlehrerin Antonieta, die mich dann später auch mit in ihren Unterricht nahm. Die erste Schulstunde, die wie jede Einheit 40 Minuten betrug, verbrachte ich in dem Englischkurs einer 6. Klasse. Mir wurde schnell klar, dass das Lernniveau in Costa Rica anders als in Deutschland sein muss. Die Kinder waren laut und neugierig, was ja auch kein Wunder war, denn es kommt nicht alle Tage vor, dass sie jemand kennenlernen, der von so weit weg kommt. Sie kamen alle offen auf mich zu und sprachen mit mir, auch wenn ich nicht alles verstand, was sie sagten. Doch die Meisten blieben trotzdem geduldig und nach einer Weile sprachen sie deutlich und langsam mit mir, sodass mir das Verstehen leichter fiel. Unterricht wurde daher in den ersten Stunden eher wenig gemacht.
Irgendwann forderte Antonieta mich auf, mit ihr einen Rundgang durch die Schule zu machen - mitten im Unterricht! Wir verließen also die Klasse, ohne den Kindern eine Aufgabe zu geben und sie führte mich eine Weile herum. Ich erfuhr, dass ca. 1000 Kinder die Schule besuchten und jede Klasse aus 20-25 Schülern bestand. Jedoch sind niemals alle Kinder gleichzeitig in der Schule, da es jeden Tag zwei Unterrichtsblöcke gäbe. Die einzelnen Klassen würden sich entweder vormittags oder nachmittags in der Grundschule einfinden, je nach dem wie ihr Stundenplan an diesem Tag aussehe.
Außerdem erzählte Antonieta mir, dass das Bildungsministerium in Costa Rica es verbieten würde, den Kindern in der Grundschule die englische Grammatik beizubringen. Die Schüler lernen seit der 1. Klasse Englisch, jedoch beschränkt sich der Unterricht auf Vokabeln pauken, Texte schreiben und verstehen. Die Aussprache käme dabei viel zu kurz, so wie Antonieta es selbst andeutete. Danach folgte meine erste Pause, die ich miterleben durfte. Ich war geschockt. 1000 Schüler stürmten nach dem Klingeln der Pausenglocke auf den ca. 100 Quadratmeter Platz in der Mitte der Schule und kreischten und tobten was das Zeug hielt. Ich hatte das Bedürfnis mir die Ohren zuzuhalten oder rauszurennen, so schlimm kam es mir anfangs vor. Mit der Zeit gewöhnt man sich aber an alles. Sogar an diese unvorstellbare Lautstärke. Auch dass jede Pause nur 10 Minuten lang ist, war für mich von Vorteil.
Zusammenfassend war mein erster Tag eher beängstigend als schön und ich habe mich gefragt, wie ich das die nächsten zwei einhalb Monate aushalten sollte. Die Schüler kamen mir respektlos gegenüber den Lehrern vor, sie waren laut und frech, doch die Lehrer schien das überhaupt nicht zu interessieren. Sie saßen gelangweilt und genervt vorne an ihrem Pult und ab und zu verließen sie den Klassenraum, um sich mit den anderen Lehrern auf eine Plauderrunde am Eingangstor zu treffen. Die Aufgaben in allen Klassenstufen waren simpel und schienen die Kinder auch nicht wirklich zu fordern. Meistens wurden auch einfach nur Spiele gespielt, bei denen die Lautstärke in den Klassenräumen nur noch mehr anstieg. Ich war sehr gefrustet und musste mich am Nachmittag erstmal von den vielen Eindrücken erholen.
Doch am nächsten Tag beschloss ich dem Projekt „Lehrerassistentin in Costa Rica“ noch eine Chance zu geben. Und ich sollte es nicht bereuen! Anders als am Vortag band mich die Englischlehrerin in ihren Unterricht mit ein und ich übte die englischen Uhrzeiten mit einer 4. Klasse und lernte einen weiteren Englischlehrer kennen, den ich von nun an jeden Nachmittag durch seine Klassen begleiten durfte. „Teacher Marvin“ unterrichtete hauptsächlich die 1. bis 3. Klassen und ich konnte endlich die jungen Grundschüler kennenlernen, auf die ich mich so sehr gefreut hatte. Kleine Kinder sind einfach unglaublich herzlich und sie haben mich sofort mit Fragen überhäuft und mir als Zeichen des Willkommens Kekse und Süßigkeiten ihres mitgebrachtenFrühstücks auf den Tisch gelegt. Ich habe mich sofort wohl gefühlt und viele Kinder in mein Herz geschlossen.
Zu meinem Glück setzten sich die nächsten Wochen so fort und ich hatte die Chance, die Kinder und Lehrer, aber auch das Schulleben in Costa Rica besser kennenzulernen. Auch meine Verständigung auf Spanisch nahm nach und nach zu, jedoch beschränkte sie sich in den ersten Wochen noch mehr auf das Verstehen der Sprache und auf das Antworten mit „sí“ oder „no“. Ein Junge in der 3. Klasse hatte sich vorgenommen mein neuer Spanischlehrer zu werden und so brachte er mir in den Englischstunden jedes Mal sein Spanischbuch mit und ließ mich daraus vorlesen. Das schien Marvin zu meiner Verwunderung wenig zu stören.
Bereits in der 3. Woche ließ dieser mich eine Hausaufgabe der 5. Klassen korrigieren, die sogar mit in die Endnote einfließen sollte. Diese 5. Klasse war ganz besonders, denn das Niveau war wirklich extrem niedrig und es gab sogar einige Mobbingprobleme unter den Kindern, wie ich von Marvin erfuhr. Viele von ihnen hätten Schwierigkeiten das Schuljahr in Englisch zu bestehen. Um es zu absolvieren, benötigt man 65%, die sich aus Hausaufgaben und einer mündlichen Leistung zusammensetzen. Bis zu 75% kann man diese Note aufbessern, die restlichen 25% macht eine einzige schriftliche Arbeit aus, die zum Ende des Schuljahres geschrieben wird. In dieser Klasse hatte Ende Oktober fast noch niemand die nötigen 65% erreicht. Ich nahm meine Aufgabe, die Hausaufgabe zu korrigieren, sehr ernst und bemerkte, dass viele der Schüler einfach einen Artikel aus dem Internet benutzt hatten. Als ich Marvin darauf hinwies, fand er das nicht weiter schlimm. „Hauptsache sie haben überhaupt etwas gemacht“, sagte er nur. Das hat mich gewundert, denn in Deutschland zählt ja auch die Qualität der Aufgaben und nicht nur die Tatsache, dass sie bearbeitet wurden. Aber an diese grundlegenden Unterschiede musste ich mich wohl gewöhnen und mich anpassen.
Es gab auch einige Besonderheiten, die ich in meiner Schulzeit in Costa Rica durchlebt habe. Wie zum Beispiel am 12.10., dem Tag der Kulturen, der ein offizieller Festtag im ganzen Land ist. Die Kinder bereiteten alle kleine Präsentationen vor, die dann in der Pausenhalle (die, wie ich dann feststellte, zusätzlich auch noch als Aula genutzt wird) vorgeführt wurden. Darunter waren typische costa-ricanische Tänze, Gedichte und die Nationalhymne wurde gesungen.
An einem weiteren besonderen Tag, der vor allem bei den Kindern sehr begehrt war, wurden zwei riesige Hüpfburgen in der Pausenhalle aufgebaut. Gegen 300 colones, also umgerechnet ungefähr 0,50€, durften die Kinder eine ganze Stunde hüpfen. Der Unterricht viel in dieser Zeit für die betroffenen Schüler ebenfalls aus.
Ende Oktober begann dann sehr viel Unterricht auszufallen, was typisch für diese Jahreszeit in Costa Rica ist. Denn die Schulen stehen wie bei uns im Juni kurz vor Beginn der großen Ferien und dem Schuljahresende. Es wurden innerhalb der Klassen sehr viele Spiele gespielt, wie zum Beispiel Stadt, Land, Fluss und Bingo, was für mich ziemlich praktisch war, um meine Spanisch Kenntnisse noch zu verbessern.
In der ersten Novemberwoche gab es die „Semana de la educatión especial“. Das Motto dieser Woche hieß „Alle Menschen sind unterschiedlich, aber haben die gleichen Rechte“. Um dies auszudrücken, verkleideten sich Schüler und Lehrer jeden Tag anders und es gab die ganze Woche lang viele Attraktionen, wie zum Beispiel eine Popcorn Maschine, eine Blaskapelle, Bullenreiten und vieles mehr. Auch hier hatten die Kinder wenig Unterricht, sondern konnten sich die meiste Zeit frei in der Pausenhalle vergnügen.
In der darauffolgenden Woche wurde mir von Antonieta ein Projekt aufgetragen. Ich sollte mit den vier besten Englisch Schülerinnen aus der 6. Klasse jeweils zwei kleine Theaterstücke bearbeiten und dann am Ende der Woche vor den restlichen Schülern aufführen. Denn die Lehrerin war der Meinung, dass diese vier Mädchen unbedingt das Sprechen üben sollten, da sie sehr viel Potential hätten. Also bekamen wir verschiedene Dialoge, aus denen wir uns die zwei besten aussuchten und einübten. Ich merkte schnell, dass die Schülerinnen alles verstanden, was ich auf Englisch zu ihnen sagte, was bei ihren Mitschülern nicht
unbedingt immer der Fall war. Deswegen fiel uns die Verständigung leicht und auch sonst verstanden wir uns sehr gut. Am Ende der Woche war ich sehr stolz auf die Vier und sie bekamen eine gute Note für ihre Präsentationen.
Mit dem November neigte sich schließlich auch das Schuljahr dem Ende zu und es wurden die Endklausuren in allen Klassenstufen geschrieben. Als die Arbeiten der sechsten Klassen anstanden, fiel Antonieta einen Tag vorher auf, dass ein Exemplar der Klausuren fehlte, die sie zuvor zum Kopieren gebracht hatte. Sie dachte zuerst, sie hätte es verlegt, aber am Nachmittag bekam sie ein Anruf von der Mutter einer Schülerin, die sagte, die Kinder würden sich die Arbeit per Whatsapp untereinander weiterleiten.
Dies erfuhr ich alles am darauffolgenden Tag und war sehr geschockt. Doch anstatt der Sache weiter nachzugehen und den Täter zu finden, veränderte die Englischlehrerin einfach die Arbeit und wir konnten am Prüfungstag in die erstaunten Gesichter der Schüler blicken. Antonieta meinte zu mir, dass dies Strafe genug für die Schüler sei, weil nun viele von ihnen mit Sicherheit durchfallen würden, die sich nur auf die eine bestimmte Arbeit konzentriert und deren Lösungen auswendig gelernt hätten.
Später durfte ich ihr dabei helfen, die Klausuren zu korrigieren. Die Arbeit bestand hauptsächlich aus den verschiedenen englischen Zeitformen, wobei besonders auf die Vergangenheit eingegangen worden ist. Schon beim ersten Durchlesen merkte ich schnell, dass viele Schüler gar keine Ahnung hatten und oftmals geraten haben mussten, obwohl die Arbeit nicht besonders schwer war. Dementsprechend mangelhaft fiel dann auch der Klassendurchschnitt aus.
Weiterhin bemerkte ich sehr schnell, dass die Schüler wenig Lust auf das Lernen hatten und die Schule häufig nicht wirklich ernst nahmen. Klar, sie sind Kinder und jedes Kind spielt lieber, anstatt fast eine ganze Stunde still zu sitzen und zuzuhören. Aber was mich mit der Zeit besonders störte, war, dass jeder Schüler lieber tausend Fragen stellte, anstatt auch nur einmal selbst nachzudenken. Irgendwann traute ich mich, Antonieta darauf anzusprechen und sie erzählte mir ganz offen, dass ihr dieses Problem auch schon aufgefallen sei. „Generation Smartphone“ nannte sie es. Denn die Kinder würden alle ein eigenes Handy besitzen und zuhause einen Internetzugang haben, um sich die nötigen Informationen zu beschaffen. Deshalb würden sie sich auch in der Schule nicht mehr anstrengen und eigenständig überlegen, weil es ja etwas gäbe, was diese Aufgabe für sie übernähme. Ich habe vor meinem Aufenthalt in Costa Rica bereits eine Weile in einer Grundschule in Deutschland hospitiert und damals habe ich keine Schüler mit Handys in der Hand herumlaufen sehen. Das, was bei uns also erst ab der 5.-7. Klasse auftritt, spielt sich in Costa Rica schon viel früher ab.
Ein ganz besonderer Moment in meiner Schulzeit in Costa Rica war die Weihnachtsfeier, die abends am 19.11. stattfand. Alle Kinder hatten sich zusammen mit ihren Eltern und anderen Verwandten in der geschmückten Schule, bei deren Dekoration ich ebenfalls geholfen hatte, eingefunden. Die Schülerinnen und Schüler führten alle eingeübte Tänze auf zu den unterschiedlichsten Weihnachtsliedern und mit den kreativsten Kostümen. Es war wirklich ein sehr schöner Abend und man kam trotz der 28 Grad draußen ein bisschen in Weihnachtsstimmung. Mittlerweile hatte ich mich besonders mit einer 6. Klasse angefreundet und sie begrüßten mich freudig als ich ankam und wir verbachten den Abend zusammen.
Abschließend würde ich mein Projekt „Lehrerassistentin in Costa Rica“ als erfolgreich bezeichnen. Ich habe viele Erfahrungen machen können, positive als auch negative. Mit meiner Organisation war ich ebenfalls sehr zufrieden und hatte auch vor Ort eine deutschsprachige Ansprechpartnerin, die mir sogar in Krankheitsfällen half und beiseite stand.
Der Beruf Grundschullehrerin hat mir schon immer zugesagt, aber jetzt noch mehr als jemals zuvor. Ich finde es gut, dass man als Pädagoge Einfluss auf die Entwicklung der Schülerinnen und Schüler nehmen kann und ihnen Dinge wie Lesen und Schreiben beibringt, die sie ihr Leben lang nicht mehr vergessen werden. Ich denke, dass wir in Deutschland ein wirklich gutes Bildungssystem haben und dass die Schüler hier im Großen und Ganzen engagiert und lernwillig sind, wenn man sie mit den Schülern in anderen Ländern vergleicht. Ich habe in meiner Zeit im Ausland viel über Costa Rica gelernt, aber ich denke, dass ich noch viel mehr über meine eigene Heimat gelernt habe.
Ich kann das Projekt jedem weiterempfehlen, der gerne mit Kindern arbeitet und den es nicht stört, rund um die Uhr beäugt und bestaunt zu werden. Als Deutsche habe ich in Costa Rica immer sehr viel Aufmerksamkeit bekommen, ob in der Schule oder anderswo. Denn schon allein vom Aussehen fällt man auf, da die Ticos durch ihre Indigene eher klein und sehr dunkel sind. Doch egal wo ich auch hingegangen bin, überall waren die Menschen freundlich, offen und haben mich akzeptiert. Sie waren auch verständnisvoll, wenn ich manches nicht sofort eindeutig verstehen konnte. Man selbst braucht als Lehrerassistent oder -assistentin zwar viel Geduld und Einfühlungsvermögen, aber man bekommt dafür auch sehr viel Liebe und Zuneigung von den Kindern zurück, was in dem Lehrerberuf bestimmt nicht anders ist.